»Grenzerfahrungen in der Medizin«
Fr., 11. Nov.
|Medizinisches Seminar Bad Boll
Traumata, Palliativmedizin, Demenz, Umgang mit Verstorbenen und Neugeborenen
Zeit & Ort
11. Nov. 2022, 15:00 – 13. Nov. 2022, 00:30
Medizinisches Seminar Bad Boll, Dorfstraße 1, 73087 Bad Boll, Germany
Über die Veranstaltung
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,
sind Sie ein Grenzgänger? Falls nicht, warum nicht? Falls ja, fühlen Sie dabei nicht einen ge wissen »Thrill«, ein Gefühl von Hunger nach und Verwirklichung von Freiheit? Der Mensch ist konstitutionell ein GrenzKünstler, er wächst durch Grenzbildungen und deren Überwindung! Die Überlebensfähigkeit eines Frühgeborenen entscheidet sich zum einen daran, ob die nach innen geholte Grenzfläche der Lunge bereits eine (Be)Atmung ermöglicht, vor allem aber daran, ob die »äußere« Haut soweit ausgebildet ist, dass das Frühgeborene extrauterin nicht einfach »zerfließt«. Sich abgrenzen zu können ist lebens notwendig, dabei dürfen jedoch die Grenzflä chen nicht so dicht sein, dass eine hermetische
Abgrenzung erfolgt. Ohne gleichzeitige Durchlässigkeit und Grenzüberwindung funktionie ren weder Lunge, Darm noch unsere Haut. Ein ähnliches Phänomen können wir zwei Jahrsiebte nach der physischen Geburt auf seelischer Ebe ne beobachten. Jugendliche wollen und müssen in der Pubertät lernen sich abzugrenzen, eine »seelische Haut« zu bilden und diese neue Haut immer wieder zu überwinden. In dieser Zeit ist das Bedürfnis nach Grenzerfahrungen be sonders groß. Wie weit kann ich die Lehrer*in nen provozieren, meine Eltern reizen, meinen Körper herausfordern mit Sport, Schlaflosigkeit oder »verbotenen« Substanzen? Schließlich ent wickeln auch wir uns als Erwachsene mit und durch Grenzerfahrungen, auf leiblicher, emotio naler, sozialer, aber auch mentaler Ebene. Kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe hat die Bedeutung der Grenzerfahrung in einem Sonett ohne Titel so zusammengefasst: »In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.«
Wie verhalten wir uns aber, wenn eine Grenzzie hung unfreiwillig erscheint, wenn der Wunsch nach unbegrenztem Wissenszuwachs in das Gegenteil umschlägt, und z. B. das Erlernte in einer als ausgrenzend empfundenen Nebelwand verschwindet, so z. B. in den zunehmenden dementiellen Erkrankungen? Wie reagieren wir, wenn es zu einer gewaltsamen Grenzüberschrei tung in Form von körperlichen oder seelischen Traumata kommt? Wie helfen wir Menschen, wenn eine unheilbare Krankheit sich grenzen los ausbreitet? Zunächst kann das Anlegen eines therapeutischen »neuen Mantels« als schützende Begrenzung notwendig sein. Der Ausdruck Palliativmedizin leitet sich von palliare »mit einem Mantel umhüllen«, »bemänteln«, »schützen«, bzw. von pallium »Mantel« ab. Welche neuen »Mäntel« können wir traumatisierten Patient*in nen anbieten auf medikamentöser, pflegerischer, kunsttherapeutischer und zwischenmenschli cher Ebene? Welchen schützenden Mantel kön nen wir Menschen mit Demenz umlegen, die gegen Schamgefühle, Hilflosigkeit und depressi ve Gefühle ankämpfen? Wie verhalten wir uns in der Begleitung von Angehörigen, Freunden, Patient*innen, die auf den Schwellenübertritt am Ende des Lebens zugehen? Welche Hilfe gibt es mit Blick auf transgenerative Verletzungen und Grenzüberschreitungen? Können wir uns dabei im therapeutischen Handeln zusätzlich der Kraft öffnen, die vor 2000 Jahren die radikalste Grenz erfahrung durchgemacht und Grenzüberwin dung verwirklicht hat?
Wir laden Sie herzlich zu unserer wiederum hybrid gestalteten Novembertagung ein, in der wir diesen Fragen nachgehen werden. Dabei werden u. a. medikamentöse, pflegerische aber auch kunsttherapeutische Ansätze in Vorträgen vorgestellt und in Arbeitsgruppen vertieft. Wer darüber hinaus eine Grenzerfahrung in der Be tätigung seiner Bauchmuskeln haben möchte, ist herzlich zu dem kabarettistischen Abend ein geladen gemäß der partnerschaftlichen Grunder fahrung: »Das Ziel ist auch nicht die Lösung– ein Paar packt aus«.
In diesem Sinne grüße ich Sie herzlich im Na men des Vorbereitungskreises und freue mich auf Ihre Teilnahme.
Dr. Jan Vagedes
Hier gibt es weitere Informationen...
Der Tagungsbeitrag ermöglicht die Teilnahme live vor Ort oder online, für Medizinstudierende gibt es begrenzte Förderplätze.
Tagungsbeitrag regulär 295,00 €
Tagungsbeitrag GAÄD Mitglieder 260,00 €
Tagungsbeitrag Studierende/ in Vollzeitausbildung (bis 30 Jahre) 75,00 €